Viele von uns kennen aus der Schule vielleicht den (Nicht-)Satz: „Kein Satz ohne Verb!“ Nicht nur im Deutschunterricht gelten zu viele Nominalisierungen als schlechter Stil („der Hund nahm eine Bellung vor“). Etwas Ähnliches lässt sich auch für Kanban-Boards feststellen: „Kein Board ohne Verb!“
Was ist damit gemeint? Wenn es beim Neu-Design von Kanban-Systemen darum geht, die relevanten Prozessschritte des Workflows ausfindig zu machen und als Spaltenüberschriften auf das Board zu bringen, kommt dabei häufig so etwas heraus wie „Angebot erforderlich“ oder „in Quality Gate“. Zuerst dachte ich, nur mir als Externem wäre nicht ganz klar, was genau damit gemeint ist. Aber beim Nachfragen stellt sich häufig heraus, dass auch das Team nur schwammige Vorstellungen davon hat, was hier genau geschieht: Hat der Kunde nach einem Angebot gefragt und nun wartet die Aufgabe darauf, begonnen zu werden? Oder ist gerade jemand damit beschäftigt das Angebot tatsächlich zu erstellen? Wartet ein Ticket darauf, das Quality Gate zu passieren? Oder wird im Quality Gate gerade aktiv an dem Ticket gearbeitet? Und wenn ja: Was geschieht da eigentlich?
Einmal mehr scheint sich hier mein Germanistik-Studium bezahlt zu machen;-) Wenn man nämlich darauf beharrt, dass überall dort, wo aktiv an Aufgaben gearbeitet wird, Verben für die Spaltenüberschriften verwendet werden (wobei „warten“ hier nicht als Verb gezählt wird!), werden die Dinge oft sofort klarer: Spalten wie „Angebot erstellen“, „Akzeptanztests durchführen“ oder „Prüfen durch Geschäftsleitung“ sind dann die deutlich besseren Formulierungen. Manchmal zeigt es sich aber auch, dass es gar nicht ohne Weiteres möglich ist, Verben zu finden oder dass es unterschiedliche Auffassungen davon gibt, wer hier genau was tut. Dann hat man mitunter mit einem einfachen Trick eine wertvolle Diskussion angestoßen.
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Die Spaltenüberschriften sollten deutlich machen, was genau hier im Workflow geschieht |
Gleichzeitig gibt es natürlich Spalten, die man nicht sinnvoll mit Verben benennen kann: Das sind dann Queues oder Puffer. „Bereit für Release“ wäre so ein Beispiel. (Auch gängige Spalten wie „Backlog „ und „Ready for Release“ stellen sich dann als das heraus, was sie sind: Puffer – aber dazu in einem späteren Post mehr).
Wenn man dann einmal geklärt hat, in welchen Spalten Aktivitäten durchgeführt werden, werden viele Dinge einfacher:
- Man kann eine sachliche Diskussion darüber führen, wer diese Aktivitäten momentan normalerweise durchführt (und ob dies sinnvoll ist).
- Häufig stellt sich ein AHA-Effekt ein, weil man sieht, wie viele Stellen es im Workflow gibt, an denen Aufgaben potenziell warten.
- Dieser Eindruck bestätigt und verstärkt sich häufig noch im Cumulative Flow Diagram, weil man hier den Anteil der Queues und Puffer über die Zeit deutlich sehen kann und sich auch die Auswirkungen auf die durchschnittliche Durchlaufzeit erkennen lassen.
Tatsächlich kann ich mir keinen Workflow vorstellen, in dem keine Aktivitäten durchgeführt werden. Aber es kann durchaus Boards geben, auf denen nur sehr wenige (oder vielleicht sogar gar keine) Aktivitäten dargestellt werden. Der Grund dafür ist, dass die Aktivitäten so schnell zu erledigen sind, dass es sich nicht lohnt, die Tickets überhaupt in die entsprechende Spalte zu verschieben. Wenn aber einige Spalten permanent leer sind, dann kann es sinnvoll sein, sie wieder abzuschaffen (es sei denn, man möchte auf dem Board deutlich machen, dass diese Spalten leer sind, z.B. für vorbeikommende Kollegen und Vorgesetzte). In unserer Firma sammeln wir gerade Erfahrungen mit einem Kanban-System für unsere Vertriebs- und Angebotsprozesse. Hier ist es tatsächlich so, dass die eigentlichen Aktivitäten oft schnell erledigt sind („Bestätigungsmail an Kunden schicken), während man immer wieder länger auf Antwort oder Zuarbeit warten muss. Wenn das Board zu einem Großteil aus Queues und Puffern besteht, macht dies ja auch etwas deutlich: Wenn wir die Durchlaufzeiten verkürzen möchten, dann ist es nicht besonders zielführend, die Aktivitäten effizienter zu gestalten. Stattdessen müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Wartezeiten verkürzen können. Das scheint in vielen Fällen erst einmal unmöglich, ist es aber so gut wie nie!
P.S. Vielen Dank an
Henning Wolf für die Inspiration und die tollen gemeinsamen Kanban-Schulungen und -Coachings in letzter Zeit!