Und es wird noch besser. Als ich fragte, wie lange es in etwa dauern wird, bis ein Berater Zeit für mich hat, blickte er kurz auf seine Zettelwand und antwortete: etwa 30 Minuten. Das musste ich erst mal verdauen. Als ich dann eine Weile im Wartebereich saß und über die Zettel nachdachte, kam ein Berater mit einer gelben Haftnotiz in der Hand und fragte, wer denn Herr Roock sei. Er begrüßte mich dann mit Handschlag und begleitete mich zu seinem Arbeitsplatz. Dort hatte er bereits einen kleinen Stapel mit anderen gelben Zetteln auf seine Schreibtischunterlage geklebt von Kunden, mit denen er vorher bereits gesprochen hatte.
Beim Rausgehen hatte ich leider wenig Zeit, um mich noch einmal genauer nach dem Zettelsystem zu erkunigen. Aber das Ganze ließ mich nicht mehr los, so dass ich aus meinem Kanada-Urlaub über Skype in der Filiale anrief und mich bis zur richtigen Ansprechpartnerin durchstellen ließ (wegen der Zeitverschiebung ein ziemlich absurdes Telefonat, weil in Deutschland der Arbeitstag gerade begann und ich um Mitternacht schon meinen zweiten Whisky intus hatte....)
Die sehr nette Dame von der Kundenbetreuung hat mir dann noch etwas mehr über das System erzählt. Ausgangspunkt war, dass es immer wieder zu Streitereien unter den Besuchern kam, weil die Reihenfolge unklar war. Zuerst wurde über ein System wie beim Arbeitsamt nachgedacht, bei dem jeder eine Nummer zieht, aber das war den Mitarbeitern zu bürokratisch! Also haben Sie sich die Low-Tech-Lösung mit den Haftnotizen ausgedacht. Und sie wissen tatsächlich ziemlich genau, wie lang die Durchlaufzeit für ein einzelnes Ticket ist, so dass sie den warteneden Besuchern eine ganz gute voraussichtliche Wartezeit mitteilen können.
Der Grund für den Besuch steht auf den Zetteln, damit der jeweilige Berater sich schon etwas auf das nächste Gespräch einstellen kann (und hat nichts mit Spezialisierung zu tun, wie ich zuerst vermutete).
Ich hatte noch befürchtet, dass die erledigten Zettel dazu dienten, irgendeine Form der Leistungsbeurteilung vorzunehmen. Dem ist aber zum Glück nicht so. Vielmehr ist das wohl etwas, zu dem sich "mein" Berater entschieden hat, weil es ihn motiviert - ein Effekt, der uns von Kanban und Scrum ja nicht ganz unbekannt ist.
Ich habe dann noch zwei Vorschläge gemacht, wie sich das System evtl. weiter verbessern ließe:
- Ich fände es netter, wenn jedem Besucher immer gleich seine voraussichtliche Wartezeit mitgeteilt würde - nicht nur auf eine konkrete Nachfrage hin.
- Ich hab (natürlich) vorgeschlagen, die Anzahl der Besucher im Gebäude zu limitieren. Tatsächlich war es bei mir so, dass die Stühle knapp wurden und sogar jemand stehen musste. Darunter leidet dann ja tatsächlich irgendwann auch die Qualität.
Ich nehme aus dem Besuch und dem Telefonat mit:
- Oft sind die einfachsten Lösungen die besten.
- Der haptische Effet und die höhere Motivation beim Umgang mit physikalischen Boards sind nicht zu unterschätzen.
- Auch wenn wir in der IT glauben, wir wüssten ziemlich gut, wie man seine Arbeit organisieren sollte, kann dies in anderen Domänen deutlich anders sein.
- Es gibt auch außerhalb der IT clevere Leute;-)
- Meine Krankenkasse scheint die richtige Wahl für mich zu sein.
Sehr genial!! Tnx for Sharing!
ReplyDeleteIch glaube auch, dass die sofortige Mitteilung der ungefähren Wartezeit ein guter Benefit wäre. Vlt. könnte man sich auch überlegen, was ungefähr die erträgliche Wartezeit für Menschen ist und die Anzahl der Stühle im Warteraum danach dimensionieren - Queue Size optimieren.
Das zusperren der Tür bei zu vielen Menschen ist wrschl. wirklich problematisch. Vlt. ist es gar nicht notwendig, wenn die Menschen wissen, wie lange sie warten müssen und der Platz im Warteraum auf die "erträgliche Wartezeit" ausgerichtet ist. Kann mir vorstellen, dass manche in der Zwischenzeit etwas anderes machen und das Gebäude wieder "freiwillig" verlassen :)
Wie auch immer - geniales Beispiel!! :)
Cheers, Klaus
Wow, wieder ein sehr schönes Beispiel dafür, dass wir mit Kanban in der IT nicht allein sind, sondern dass es viele weitere Ideen und Möglichkeiten gibt. Danke, Arne, dass Du sogar noch angerufen und nachgefragt hast!
ReplyDeleteAnschauliches Beispiel, danke.
ReplyDeleteDie Anzahl der Stühle ist für mich schon eine sanfte Variante einer Limitierung. Sie könnten das durch ein Schild noch klarer kommunizieren: "Falls alle Stühle besetzt sind, müssen sie vermutlich über eine Stunde warten, bis ein Berater Zeit für sie hat."
Hi Arne,
ReplyDeleteFantastisches Beispiel und super aufgegriffen. Ich glaube übrigens, dass die KK es richtig macht, das WiP nicht zu limitieren. Eigentlich würde es bei dem System ja darum gehen die Durchlaufzeit zu optimieren. Das mag ja objektiv und im Schnitt ok sein. Allgemein kann man aber in diesem Beispiel nicht sagen, dass dies die generell kundenfreundlichste Lösung ist.
Für einen Bestandskunden um die Ecke mit einer einfachen Nachfrage wäre es evtl. Ok noch einmal zu kommen. Mit viel Glück hätte er Verständnis dafür, der Statistik helfen zu dürfen und die Gruppengeschwindigkeit nach oben zu treiben indem er unverrichteter Dinge nach Hause fährt weil er zu viel WiP wäre ;) (ungeduldige "on demand" ITler wie ich ... eher nicht ... ;)
Aber was mit einem Neukunden der evtl. Auch noch eine weitere Anreise hätte. Der hätte sicher einen schlechteren Eindruck von Deiner KK als Du ihn gerade hattest, wenn er bei seinem Erstkontakt nach einer Stunde Fahrt gleich nach Hause geschickt wird: "Sorry, das gibt das (Kanban)System nicht her".
Ich glaube bei direktem Kundenkontakt muss man eher Kapazität erhöhen als WiP limitieren weil ja die Gesamtleistung ist Leute zufrieden zu machen und das geh nicht immer über Leadtime.
Ich glaube in diesem Fall ist eine gewisse Kapazität in Verbindung mit Transparenz der Wartezeit schon eine sehr gute Lösung weil jeder Kunde in seinem Kontext entscheiden kann ob er bleibt oder geht.
Viele Grüße
Markus
Tolle Geschichte, die zeigt, dass wir nicht allein sind auch wenn die KK wohl nicht wusste, dass es für ihr einfaches System einen Namen gibt.
ReplyDeleteAußerdem zeigt sie auf sympathische Weise, dass Du deine Arbeit wirklich überall mit hin nimmst und zeigt wie commited du bist :)
Danke
Ich denke ähnlich wie Klaus: Wenn Problem 1 (Kunde weiss nicht immer, wie lange es dauern wird) durch Lösung 1 (Kunde bekommt die zu erwartende Zeit immer gesagt) behoben wurde, dann wird sich auch Problem 2 (nicht genug Platz im Warteraum) erledigen. Wenn der Kunde hört "Sie kommen in [Zeit > 1 h] dran.", dann wirkt das auf das System selbstregulierend.
ReplyDeleteAber: Sind eh alles Annahmen, von daher "Apply" von Lösung 1 und dann Inspect und Adapt :)
Danke für den schönen Bericht!
Am besten hat mir an dieser Geschichte gefallen, dass Du nach Mitternacht, im Urlaub, in Kanada, nach dem zweiten Whiskey auf die Idee gekommen bist, Dich bei Deiner Krankenkasse nach ihrem Zettelsystem zu erkundigen! :)
ReplyDeleteLassen Sie sich nicht vom Druck des Verfassens Ihrer Abschlussarbeit entmutigen. Sie können masterarbeit schreiben lassen und Unterstützung von erfahrenen akademischen Autoren erhalten. Sie stellen sicher, dass Ihre Arbeit sorgfältig recherchiert und nach den höchsten Standards geschrieben wird, sodass Sie während Ihres Studiums beruhigt sein können.
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